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(Milan) – Die Berichte über den Tod von 400 Menschen im Mittelmeer zwischen dem 11. und 13. April sollten die Europäische Union dazu zwingen, eine weitreichende Seenotrettungsoperation einzuleiten, so Human Rights Watch. Aus dem ersten bestätigten Schiffswrack wurden in den letzten Tagen elf Leichen geborgen.

„Sollten sich die Berichte bestätigen, dann war das vergangene Wochenende eines der tödlichsten auf dieser weltweit gefährlichsten Seestraße für Migranten und Asylsuchende“, so Judith Sunderland, stellvertretende Direktorin der Europa- und Zentralasien-Abteilung von Human Rights Watch. „Doch diese unerträglichen Opferzahlen auf See werden sogar noch weiter steigen, wenn die EU nicht unverzüglich handelt und die Seenotrettung im gesamten Mittelmeer gewährleistet.“

Die Organisation Save the Children in Italien schätzte, dass am vergangenen Wochenende 400 Menschen beim Versuch, nach Europa zu gelangen, ums Leben gekommen sind. Diese Schätzung basiert auf Augenzeugenberichten, welche die Organisation unter den Tausenden Migranten und Asylsuchenden sammelte, die seit dem 10. April von der italienischen Küstenwache gerettet wurden. Die offiziellen Zahlen deuten darauf hin, dass zwischen dem 10. und 13. April insgesamt mehr als 7.000 Menschen gerettet wurden. Laut Save the Children befanden sich unter den Geretteten 450 Kinder, von denen 317 ohne Begleitung eines Erwachsenen waren.

Viele der am Wochenende geretteten Migranten befinden sich noch auf italienischen Schiffen, da die Behörden mit großer Mühe versuchen, Notunterkünfte zu finden. Nach Einschätzung von Human Rights Watch wäre die fehlende Vorbereitung auf Neuankömmlinge vermeidbar gewesen, da viele Prognosen 2015 als neues Rekordjahr der Bootsmigration angekündigt hatten.

Ein weiteres Hindernis ist die feindselige Rhetorik beim Thema Einwanderung in Italien und in der EU. Am 14. April rief der Chef der einwandererfeindlichen Lega Nord alle Lokalbehörden auf, sich „mit allen Mitteln“ gegen Gesuche zur Aufnahme von Asylsuchenden zu wehren. Weiter erklärte er, seine Partei sei bereit, Gebäude zu besetzen, um die Ankunft von Migranten zu verhindern. Andere EU-Staaten zeigen einen offenkundigen Mangel an politischem Willen, wenn es darum geht, Italiens ungerechte Belastung zu verringern.

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex startete im November 2014 die Operation Triton. Gleichzeitig verkleinerte Italien seine großangelegte humanitäre Marineoperation Mare Nostrum, durch die Zehntausende Menschenleben gerettet werden konnten. Das geografische Ausmaß und die finanzielle Ausstattung von Triton sind weitaus geringer als bei Mare Nostrum. Das primäre Mandat von Frontex ist die Grenzkontrolle, nicht die Seenotrettung.

Laut dem UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNCHR) sind in diesem Jahr bereits mindestens 500 Migranten und Asylsuchende im Mittelmeer gestorben, ein 30-facher Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Sollten sich die Berichte über Hunderte weitere Tote in den vergangenen Tagen bestätigen, läge die Opferzahl in den letzten dreieinhalb Monaten bei fast 1.000 Toten. Im gesamten Jahr 2014 waren mindestens 3.200 Menschen gestorben. Die Opferzahlen werden voraussichtlich noch ansteigen, wenn in den Frühlings- und Sommermonaten, der „Hauptsaison“ der Mittelmeerquerungen, wieder mehr Migranten in See stechen.

Die Europäische Kommission wird den Mitgliedstaaten voraussichtlich im Mai eine „umfassende Migrationsagenda“ vorlegen. Einige der Vorschläge kleiden sich zwar in humanitäre Rhetorik über die Verhinderung weitere Todesopfer auf See, sind aus Sicht des Menschenrechtsschutzes jedoch sehr bedenklich. Dazu gehören die Einrichtung von Bearbeitungszentren in Nordafrika, die Auslagerung von Grenzschutz- und Rettungsoperationen zur Vereitelung von Ausreiseversuchen und die Anhebung von Finanzhilfen an zutiefst repressive Staaten wie Eritrea, einem der bedeutendsten Herkunftsstaaten von Asylsuchenden, die auf dem Seeweg nach Europa kommen. Dort fehlt jedes Anzeichen für Reformen auf dem Gebiet der Menschenrechte.

Wenngleich einige Vorschläge Elemente enthalten, die unter Umständen an die Wurzel der irregulären Migration gehen oder den Migranten sichere Alternativen bieten könnten, werden sich die Maßnahmen daran messen lassen müssen, ob sie die Rechte der Migranten und Asylsuchenden wahren oder lediglich ihren Zustrom stoppen. Erste Anzeichen sprechen jedoch dafür, dass die Maßnahmen weniger darauf abzielen, Kapazitäten zum Schutz der Migranten aufzubauen, als vielmehr Eindämmungsmechanismen zu erweitern oder auszulagern, um so Ausreisen in Richtung Europa zu verhindern.

„Es fällt schwer, diese Vorschläge nicht als ein zynisches Angebot aufzufassen, ledigleich die Anzahl der Migranten und Asylsuchenden zu verringern, die es bis an die Küsten der EU schaffen“, so Sunderland. „Egal welche langfristigeren Initiativen noch folgen – im Augenblick muss der humanitäre Imperativ für die EU sein: Hinausgehen und Leben retten.“

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