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In Usbekistan kann man sich, wie überall, öffentliche Aufmerksamkeit mit Geld erkaufen. Mitte September publizierte eine in London ansässige PR-Agentur den Aufruf „Free Gulnara NOW". Darin prangerte sie an, dass Gulnara Karimowa, die Tochter des usbekischen Präsidenten Islam Karimow, „aus rein politischen Gründen unter Hausarrest steht".

Die schillernde Jet-Setterin ist tief gefallen, augenscheinlich nachdem sie mit Feinden aus dem Umfeld ihres autoritären Vaters aneinander geraten war. Natürlich sollen ihre Rechte geachtet werden, genau wie die von allen anderen Menschen. Aber wenn man sich vor Augen hält, dass sie die brutale Regierung Usbekistans lange unterstützt und repräsentiert hat, klingt ihr - natürlich legitimer - Appell bestenfalls ironisch, die internationale Gemeinschaft solle sich für Rechtsstaatlichkeit in Usbekistan einsetzen.

Wenn Opfer jedoch keine PR-Agenturen einschalten können, dann erhalten sie weit weniger Aufmerksamkeit. Zum Beispiel der Menschenrechtsaktivist Abdurasul Khudoynasarow, der gegen Korruption kämpfte, bevor er auf der Grundlage fadenscheiniger Erpressungsvorwürfe zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Khudoynasarow wurde gefoltert und versuchte mehr als acht Jahre lang erfolglos, im Gefängnis die für ihn notwendige medizinische Behandlung zu erhalten.

Viele seiner Fürsprecher waren überrascht, als die Behörden ihn im Mai plötzlich frei ließen - bis klar wurde, warum. Er wurde genau an dem Tag entlassen, als die Gefängnisärzte bei ihm fortgeschrittenen Leberkrebs diagnostizierten. 26 Tage später starb er. Oder der Oppositionelle Rustam Usamanow, der seit 1998 wegen unterschiedlicher, erfundener Vorwürfe in Haft ist. Wenige Tage bevor er nach zwölf Jahren entlassen werden sollte, wurde seine Haftstrafe um fünf Jahre verlängert, weil er angeblich „Gefängnisregeln verletzt" hatte.

Im November 2012 gab Usmanow, der unter schweren Depressionen litt, seinem Sohn bei einem Besuch ein Taschentuch, auf das er mit Blut geschrieben hatte: „SOS! 15 Jahre Warten auf einen Prozess! Bringt mich vor Gericht oder bringt mich um!"

Und diese Fälle sind in Usbekistan keine Einzelheit. Tausende Menschen sitzen nach Verfahren, die niemals internationalen Standards genügen, aus politischen oder religiösen Gründen im Gefängnis. Sie werden wegen frei erfundener oder unklar definierter Vorwürfe weggesperrt, etwa wegen „verfassungsfeindlicher Aktivitäten" oder „religiösen Extremismus".

Wir haben 34 solcher Fälle in einem neuen Bericht dokumentiert. Die Betroffenen sind unter anderem Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, Oppositionspolitiker und Geistliche. Viele hatten eine zentrale Rolle, wenn es darum ging, Korruption aufzudecken, sich für demokratische Reformen einzusetzen oder Innovationen in Kunst oder Kultur zu fördern.

Die meisten wurden schwer gefoltert. Sie wurden geschlagen, mit Elektroschocks gequält, an ihren Hand- und Fußgelenken aufgehängt oder mit Gasmasken fast erstickt. Manche wurden in anderen Ländern von usbekischen Sicherheitskräften entführt, nach Usbekistan zurückgebracht und mit langjährigen Gefängnisstrafen belegt. Die Behörden verlängern die Gefängnisstrafe von politischen Häftlingen regelmäßig aus willkürlichen, zum Teil absurden Gründen.

Die Haftstrafe von Murod Juraew, einem Oppositionellen, der seit 1994 in Haft ist, wurde viermal verlängert, zuletzt 2012, weil er „Karotten in der Gefängnisküche fehlerhaft geschält hatte".

Die usbekische Regierung verlässt sich auf ihre geostrategische Bedeutung und widersetzt sich erfolgreich internationalem Druck, politische Gefangene freizulassen oder andere, dringend notwendige Menschenrechtsreformen anzugehen. Seit den Terroranschlägen am 11. September und während des Kriegs im Nachbarland Afghanistan hat sich Taschkent als Verbündeter im „Krieg gegen den Terror" dargestellt.

Die Regierung hat den USA und europäischen Ländern erlaubt, usbekisches Staatsgebiet für militärische Versorgungsrouten nach Afghanistan zu nutzen. Die deutsche Regierung gab im August bekannt, dass sie mit Taschkent darüber verhandelt, den Militärstützpunkt Termez in Usbekistan auch nach dem Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan in diesem Jahr weiterzunutzen. Allerdings erscheint die politische Führung Usbekistans zunehmend als instabil, was sich nicht zuletzt die Karimowa-Episode zeigt.

Nichts deutet darauf hin, dass der 76-jährige Karimow nach 25 Jahren an der Macht Pläne für seine Nachfolge hat.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten äußern immer wieder pro forma menschenrechtliche Bedenken, aber das ist eindeutig zu wenig. Zum Beispiel bezeichnet Großbritannien Usbekistan als in menschenrechtlicher Hinsicht „bedenklichen Staat", bevorzugt jedoch stille Diplomatie statt öffentlichem Druck. Die EU hat in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Euro für Trainingsprogramme ausgegeben, mit denen sie die Rechtsstaatlichkeit in Usbekistan verbessern will. Aber sie setzt ihre Verhandlungsmacht nicht dazu ein, konkrete, menschenrechtliche Verbesserungen einzufordern, obwohl die EU-Außenminister im Jahr 2010 notwendige Menschenrechtsreformen skizziert haben.

All das widerspricht dem viel beachteten Versprechen der EU, die Menschenrechte „ohne Ausnahme" ins Zentrum ihrer Außenpolitik zu rücken, das in ihrem im Jahr 2012 verabschiedeten, wegweisenden Strategischen Rahmen für Menschenrechte enthalten ist.

Die EU muss einen robusteren und prinzipientreueren Weg wählen, um die Menschenrechtslage in Usbekistan zu verbessern. Dazu gehören Menschenrechtskriterien, die in einem festgelegten Zeitraum erreicht werden müssen, und konkrete, politische Konsequenzen wie Einreiseverbote und das Einfrieren der Vermögen von Personen, die für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Auch soll sich die EU im UN-Menschenrechtsrat dafür einsetzen, einen Überwachungsmechanismus für Usbekistan einzurichten.

Wirkungsvollerer Druck auf Usbekistan kann dabei helfen, die furchtbaren Menschenrechtsverletzungen zu beenden, unter denen so viele Menschen - mit und ohne PR-Agenturen - leiden.

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