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Durch die Krise in der Ukraine ist die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Deutschland und andernorts wieder ins Rampenlicht gerückt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier betont immer wieder, dass die OSZE in der Ukraine eine größere Rolle spielt. Auch nachdem im Zusammenhang mit den zunächst entführten und später wieder freigelassenen militärischen Beobachtern der OSZE in Berlin Kritik laut wurde, hat Steinmeier die Organisation in Schutz genommen.

Steinmeier hat Recht: Die OSZE ist sehr gut aufgestellt dafür, an der Deeskalation der Krise in der Ukraine mitzuwirken. Als eine der wenigen internationalen Organisationen genießt sie in Russland, in der Ukraine und im Westen politische Unterstützung. Dazu verfügt sie über die Ressourcen, eine starke Präsenz vor Ort zu gewährleisten und der Propaganda entgegenzutreten, die von beiden Seiten verbreitet wird.

Doch die internationale Aufmerksamkeit zeigt auch, vor welchen Hürden die Organisation mit ihren 57 Mitgliedstaaten steht, wenn es darum geht, auch in Zukunft effektiv zu sein.

Was kann die OSZE in der Ukraine bewirken? Der größte Praxistest zeigt sich bei der Rolle, die die internationalen Beobachter in den Krisenherden im Osten und anderen Landesteilen spielen. Dass im März die Beobachtermission beschlossen wurde, stellte einen großen Durchbruch dar, zeigte es doch die Bereitschaft von Russland und Ukraine, der OSZE einen Vertrauensvorschub zu geben.

Die Organisation wurde 1975 während des Kalten Kriegs in Helsinki ins Leben gerufen, um zum Abbau der Ost-West-Spannungen beizutragen. Seitdem hat sich die OSZE mit drei zentralen Themen befasst: politisch-militärischen Fragen, der Zusammenarbeit im Bereich Wirtschaft und Umwelt sowie einer humanitären Dimension.

Entscheidend war die humanitäre Zusammenarbeit, denn die Sowjetunion musste einräumen - und sei es auch nur auf dem Papier -, dass der Schutz der Menschenrechte zentraler Bestandteil der internationalen Sicherheit ist. Die Organisation hat bei der Verteidigung der Menschenrechte sowie bei der Förderung hoher demokratischer Standards und der Rechtsstaatlichkeit wichtiges geleistet. Dem Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR), der Menschenrechtsinstitution der OSZE, ist es gelungen, Wahlbeobachtungsmissionen in Ländern der ehemaligen Sowjetunion durchzuführen, die glaubwürdig und geachtet sind. Ihr fällt auch die Aufgabe zu, am 25. Mai die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine zu überwachen. Dazu will sie am Wahltag selbst 1.000 internationale Wahlbeobachter einsetzen.

Gemeinsam mit dem OSZE-Hochkommissar für nationale Minderheiten hat ODIHR letzte Woche eine Übersicht über die Menschenrechtslage in der Ukraine veröffentlicht. Darin ist von schweren Verstößen die Rede, begangen sowohl von ukrainischen Behörden als auch von Anti-Maidan-Gruppen. Zurecht wird betont, es müsse dringend glaubwürdig untersucht werden, welche Personen für die Todesfälle und die Misshandlungen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen sind, die sich zwischen November 2013 und Februar 2014 zutrugen. ODIHR soll auch weiterhin Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, auch diejenigen, die in den vergangenen Wochen von Kiew-freundlichen wie auch von Kiew-feindlichen Gruppen verübt wurden. So kamen diesen Monat mindestens 40 Menschen in Odessa ums Leben. Gleichzeitig soll ODIHR die Regierung drängen, diskriminierende Gesetze abzulehnen. Berlin ist besonders stark in die Arbeit von ODIHR involviert: In diesem Monat wurde mit Michael Link ein ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt zum neuen Direktor der Warschauer Organisation ernannt.

Unter dem Vorsitz der Schweiz hat sich die OSZE bemüht, einen nationalen Dialog zwischen den unterschiedlichen Gruppen herbeizuführen. Das ist ein wichtiges Unterfangen, denn Dialog ist ein zentraler Bestandteil im Umgang mit Menschenrechtsverstößen, deren Wahrnehmungen und den Beschwerdepunkten, die der Krise vorausgingen.

Die Beobachtermission in der Ukraine ist nur langsam gestartet und noch gibt es Unklarheiten, worin ihre Rolle genau besteht. Es hapert bei der Abstimmung mit anderen in der Ukraine laufenden OSZE-Aktivitäten und mit ODIHR. Priorität sollten ein effektiver Informationsaustausch und eine Verständigung darauf haben, wie gemeinsame Ziele erreicht werden.

Es werden zusätzliche Beobachter benötigt, vor allem örtliche Experten, insbesondere mit Blick darauf, dass die weitere Entwicklung im Osten weiterhin höchst unvorhersehbar und die Lage hochexplosiv ist. Derzeit halten sich rund 220 Beobachter in der Ukraine auf, das Mandat sieht bis zu 500 vor. Die OSZE muss dafür sorgen, dass sie den Beobachtern die passende Hilfestellung und die rechtlichen Ratschläge an die Hand gibt, die der Lage entsprechen.

Die Berichte der Beobachter liefern Eindrücke aus einem Dutzend Städten, was keine leichte Aufgabe ist. Die Mission soll sich jedoch direkter und detaillierter zu den Entführungen, körperlichen Übergriffen und Drohungen äußern, die von Kiew-feindlichen Gruppen ausgehen, und sie soll nicht um den heißen Brei herumreden, was Drohungen und körperliche Gewalt von seiten ukrainischer Nationalisten und paramilitärischer Gruppen anbelangt. Die Berichterstattung zu Menschenrechten ist zeitintensiv, weil sie höchste Genauigkeit verlangt, aber die Mission könnte dieser Notwendigkeit nachkommen, indem sie wöchentlich oder zweiwöchentlich umfassendere Informationen zur Menschenrechtslage veröffentlicht.

Will die OSZE ihre Glaubwürdigkeit bewahren, müssen diese Probleme dringend angegangen werden. Außerdem können so alle beteiligten Seiten noch einmal ihren politischen Willen unter Beweis stellen.

Spricht man mit Diplomaten am OSZE-Sitz in Wien, hört man, dass sie sich über die Aufmerksamkeit freuen, die ihnen ihre Hauptstädte und die Medien im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise schenken. Ihnen bietet sich nun die Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass die Organisation auch in breiterem Rahmen relevant bleibt, speziell in Regionen wie Zentralasien oder in Aserbaidschan, wo Repression und Menschenrechtsverletzungen immer noch fester Bestandteil und allgegenwärtig sind. Die OSZE soll diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.

In den vergangenen Jahren haben die beteiligten Staaten nicht immer politische Bereitschaft erkennen lassen, ihren bestehenden Verpflichtungen in der menschlichen Dimension nachzukommen. Das muss nun Priorität haben. Viele Mitgliedstaaten ignorieren ihre Versprechen, grundlegende politische Freiheiten zu schützen und sich gegen Diskriminierung und Intoleranz zu stellen.

Ebenfalls Priorität sollen die Länderaktivitäten und -programme der OSZE haben. Seit einigen Jahren fordern Regierungen aus Ländern wie Russland, Aserbaidschan und Usbekistan mehr Kontrolle bei der Ausgestaltung dieser Aktivitäten, was oftmals zu Lasten des Menschenrechtsmandats geht. Teilnehmende Staaten müssen sich auf Mindeststandards der Empfängerländer verständigen und nicht verhandelbare Kernfunktionen bestimmen.

Noch wichtiger ist, dass die OSZE stärker als bislang anerkennt, wie sehr ihre Relevanz von der Unterstützung abhängt, die sie den vielen mutigen Streitern für die Menschenrechte zukommen lassen -sie riskieren viel und ihre Arbeit ist unerlässlich dafür, der menschlichen Dimension im OSZE-Mandat praktische Bedeutung zu verleihen.

Kommendes Jahr wird die OSZE 40 Jahre alt. Die Regierungen können nun ein angemessenes Geburtstagsgeschenk schnüren und sicherstellen, dass die Organisation auch in den kommenden Jahrzehnten praktische Relevanz vorweisen kann, wenn es um den Schutz der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit geht.

Hugh Williamson ist Leiter der Europa- und Zentralasienabteilung von Human Rights Watch

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