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Mit seinen Enthüllungen über das gigantische Ausmaß der Überwachung unserer privaten Telekommunikation, die nicht etwa aufgrund gezielter Ermittlungen zur Aufklärung von Straftaten erfolgt, sondern Bestandteil einer umfassenden nachrichtendienstlichen Informationsgewinnung ist, hat Edward Snowden der Welt einen großen Dienst erwiesen.

Zwar wurden durch die von ihm angestoßene Debatte bereits einzelne Verbesserungen beim Schutz unserer Privatsphäre erreicht. Um jedoch zu begreifen, wie viel noch zu tun bleibt, müssen wir uns die Argumentation der US-Regierung genauer ansehen, mit der diese die massenhafte Ausspähung als rechtmäßig verteidigt.

Angesichts der engen Partnerschaft zwischen den Geheimdiensten Australiens und der Vereinigten Staaten im Rahmen des „Fünf-Augen“-Bündnisses (dem auch Großbritannien, Kanada und Neuseeland angehören), besteht Grund zu der Annahme, dass die australische Regierung ähnlich argumentiert.

Zunächst einmal beruft sich die amerikanische Regierung darauf, dass es bei den sogenannten Metadaten unserer Kommunikation keinen Anspruch auf Privatsphäre gibt. Metadaten sind höchst persönliche und äußerst aufschlussreiche Informationen darüber, mit wem wir telefonieren oder wem wir eine E-Mail schreiben, wonach wir im Internet suchen, welche Webseiten wir aufrufen und sogar, wo wir uns aufhalten (da unsere Telefone als Ortungsgeräte dienen).

Das wird damit begründet, dass wir bereits in dem Moment, wo wir Informationen mit einem Dritten wie einem Telefon- oder Internetunternehmen „teilen“, auf unsere Privatsphäre verzichten. Australien scheint ähnlich zu argumentieren, wenn man sieht, wie problemlos die Regierung vielen Geheimdiensten Zugang zu diesen Informationen gewährt.

Vor 35 Jahren bestätigte der Oberste US-Gerichtshof in einem Urteil zu Telefonverbindungsdaten eine Lesart dieser Sichtweise. Ebenso gut hätte er urteilen können, dass ein Telekommunikationsunternehmen, ähnlich wie ein Arzt oder ein Anwalt, dem wir uns anvertrauen, verpflichtet ist, diesem Vertrauen zu entsprechen. Dem war aber nicht so.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung von elektronischer Kommunikation in unserem Leben und den deutlich erweiterten Möglichkeiten der Regierung zu deren Überwachung hat der Gerichtshof jetzt Bedenken gegenüber dieser Argumentation des „Teilens“ erkennen lassen.

Möglicherweise ist das einer der Gründe dafür, dass Präsident Barack Obama letzte Woche eine Gesetzesinitiative zur Abschaffung der massenhaften Erhebung von Telefondaten in den USA durch die Regierung ankündigte. Eine Einschränkung zur Erfassung von Metadaten, die E-Mails, Recherchen im Internet und unseren Aufenthaltsort betreffen, hat er allerdings nicht eingeräumt. Ebenso wenig gestand er ein Recht auf den Schutz der Privatsphäre bei den Metadaten zu.

Angeblich soll das massenhafte Sammeln von Metadaten helfen, Terroranschläge zu verhindern. Die US-Regierung kann jedoch nicht einen einzigen terroristischen Angriff benennen, zu dessen Vereitelung dieses Programm wesentlich beigetragen hätte.

Zweitens behauptet die US-Regierung, dass unsere Privatsphäre durch das Sammeln privater Telekommunikationsdaten nicht verletzt werde, sondern erst, wenn diese Daten gelesen, analysiert und abgehört werden.

Diese Behauptung ist bisher noch nicht von einem öffentlichen Gericht überprüft worden. Sie wurde aber offensichtlich von einem geheim tagenden Gericht gebilligt, das über die Überwachungsanträge der Nachrichtendienste entscheidet, nachdem einzig die Regierung dazu angehört worden war.

Das einzige Argument, das die Regierung öffentlich vorgebracht hat, ist die allzu simple Metapher, dass man einen Heuhaufen brauche, um eine Nadel zu finden. Die Regierung müsse also unsere gesamten Kommunikationsdaten sammeln, um genau über die Information zu verfügen, die auf terroristische Aktivitäten hinweisen könnte.

Diese Begründung lässt jedoch die Auflage zu einer Farce verkommen, wonach die Regierung nur dann in unsere Privatsphäre eindringen darf, wenn sie nachweisen kann, dass dies für strafrechtliche Ermittlungen notwendig ist.

In der Logik der Regierung gäbe es selbst dann nichts einzuwenden, wenn sie Videokameras in unseren Schlafzimmern installieren würde, die direkt mit einem Regierungscomputer verbunden wären, sofern die Regierung verspricht, die Videos erst dann zu sichten, wenn ein triftiger Grund dafür vorliegt. Die Kameras in unseren Laptops und Smartphones könnten diese Funktion sogar schon erfüllen.

Wenn der Kongress Obamas aktuellem Reformvorschlag zustimmt, wäre künftig nicht mehr die Regierung für die massenhafte Erhebung der Verbindungsdaten von amerikanischen Staatsbürgern verantwortlich, sondern die Telefongesellschaften.

Vor allem aber müssten die Telefongesellschaften diese Daten nicht länger als üblich speichern, wie es in Australien vorgeschlagen wurde. Es gibt keine nachvollziehbaren Kriterien dafür, dass der Nutzen älterer Verbindungsdaten die Verletzung der Privatsphäre rechtfertigt.

Dennoch bleiben Fragen bezüglich der Erhebung anderer Kommunikations- und personenbezogener Daten durch die Regierung offen. Unklar ist auch, welche Nachweise der Kongress von der Regierung verlangen wird, damit diese Zugang zu den Daten der Telefongesellschaften erhält.

Drittens, und das betrifft auch die Inhalte unserer Kommunikation (und nicht nur die Metadaten), darf die Regierung nach amerikanischem Recht E-Mails lesen und Telefonanrufe von Personen abhören, die sich außerhalb der Vereinigten Staaten befinden und keine US-Staatsbürger sind, was wohl für die meisten Leser dieses Artikels gilt.

Zu diesem Standpunkt gelangt die US-Regierung aufgrund einer eingeschränkten Auslegung internationaler Menschenrechtsstandards, wonach sie nicht verpflichtet sei, das Recht auf Privatsphäre von Staatsbürgern anderer Länder im Ausland zu wahren. Der UN-Menschenrechtsausschuss widersprach dem letzte Woche, doch die Obama-Regierung scheint nicht von ihrer Position abzurücken.

Australische Staatsbürger haben vielleicht den Eindruck, dass sie zumindest vor einer Überwachung durch die eigene Regierung geschützt sind. Diese hat aber immer noch die Möglichkeit, sich sämtliche private Kommunikation, an der ein Australier beteiligt ist und die sie auf legalem Wege nicht direkt abfangen kann, von einem ihrer „Fünf-Augen“-Partner zur Verfügung stellen zu lassen.

Möglich waren all diese Eingriffe in unsere Privatsphäre, weil niemand davon wusste. In den Vereinigten Staaten sind sie hinter verschlossenen Türen von Kongressausschüssen und von einem Sondergericht genehmigt worden, das keine öffentliche Rechenschaftspflicht hat. Viele hatten es geahnt, aber ganz sicher konnten wir erst sein, als Edward Snowden diese Debatte in Gang gesetzt hat.

Allerdings könnte es jetzt zu überzogenen Reaktionen kommen. Es gibt bereits Vorschläge, das Internet in regional getrennte Netzwerke aufzuteilen. Demnach würden Daten innerhalb der Grenzen eines Landes bleiben, um ein Ausspähen von außen zu vermeiden.

Selbst wenn dies möglich wäre, könnte sich dieser Vorschlag als Fehler erweisen, weil das Recht auf Meinungsfreiheit und die Privatsphäre in vielen Ländern wie etwa China weniger geschützt sind als in den USA oder Australien. Westliche Internetunternehmen wissen, dass sie ihre Daten nicht in China speichern dürfen, wenn sie es der Regierung in Peking erschweren wollen, Kritiker zu identifizieren und zu verhaften. China wäre nichts lieber, als einen Grund für lokale Datenspeicherung geliefert zu bekommen.

Die Antwort auf die Auswüchse der Massenüberwachung liegt vielmehr darin, den Konsens über bereits bestehende und international gültige Standards für den Schutz der Privatsphäre zu stärken. Brasilien und Deutschland haben beim UN-Menschenrechtsrat einen Prozess eingeleitet, der unser heutiges Verständnis dieser Standards vor dem Hintergrund moderner Telekommunikation auf den neuesten Stand bringen soll.

Wenn diese Debatte öffentlich statt hinter verschlossenen Türen stattfindet, hat unser Recht auf Privatsphäre eine größere Chance vor der Datensammelwut von Geheimdiensten gerettet zu werden. Australien soll diese Bemühungen unterstützen und seinen Verbündeten in Washington drängen, sich an die neuen Regeln zu halten, die im Zuge dieser Resolution festgelegt werden.

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