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Es ist so weit: Die Olympischen Winterspiele haben begonnen. Gefühlt begleiten uns die Debatten rund um das Thema Sotschi allerdings bereits seit Monaten. Denn auch wenn die Olympischen Spiele nun Bühne für sportlich herausragende Leistungen sind, bestimmten im Vorfeld andere Themen die Agenda in Sotschi: schwere Verstöße gegen die Menschenrechte, explodierende Kosten, Korruption, Russlands Gesetze gegen Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle sowie Sicherheitsbedenken.

Dass sich so viel Aufmerksamkeit auf die Olympischen Spiele richtet, ist in einem größeren Rahmen zu sehen. Derart globale Ereignisse und die damit einhergehenden Geschichten locken die modernen, globalisierten Medien an. Die Veranstaltungen schlagen weit über das Gastgeberland hinaus Wellen, wie allein schon die täglichen Meldungen zu der Frage zeigen, welche Politiker sich nun in Sotschi zeigen werden und welche nicht. Die undurchsichtigen Organe, die diese Ereignisse veranstalten – in diesem Fall das Internationale Olympische Komitee (IOK) –, bemühen sich mit eiserner Hand, die Kontrolle über die immer komplexer werdenden Abläufe zu behalten, dabei wären doch offensichtlich mehr Transparenz allen beteiligten Interessengruppen gegenüber und mehr Zusammenarbeit notwendig.

Russlands Regierung steht in der Verantwortung

Und dann ist da noch die wachsende Rolle von Menschenrechtlern wie Human Rights Watch und anderen. Sie dokumentieren Missbrauchsfälle im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen und lenken die Aufmerksamkeit darauf, wie sie sich auf die Menschen auswirken. Dabei geht es auch darum, ob das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Demonstrationsrecht eingeschränkt werden – ein Widerspruch zum Geist des Fairplays, der die Spiele doch eigentlich prägen sollte.

Sport und Politik lassen sich nicht voneinander trennen, das gilt heute wohl mehr denn je. Die Geschichte der modernen Olympischen Spiele zeigt von Berlin 1936 bis hin zu Peking 2008, dass große Sportveranstaltungen selten apolitisch sind. Seit Jahrzehnten nutzen Sportler und Funktionäre, Politiker und leider auch Terroristen die Plattform, die ihnen Sport auf Weltklasseniveau bietet, um auf politischer Ebene zu punkten.

Doch in der heutigen globalisierten und vernetzten Welt läuft dieser Prozess immer schneller ab. Wir Menschenrechtler müssen uns gelegentlich den Vorwurf anhören, die Olympischen Spiele zu „politisieren“, indem wir hinter die Fassaden blicken und uns stark machen für Wanderarbeiter, Einheimische und Aktivisten in Sotschi, die unter Missbrauch und massiver Unterdrückung leiden. Dabei ist es in Wahrheit der Kreml, der die politische – und nationalistische – Trumpfkarte spielt. Russlands Präsident Wladimir Putin äußert offen die Hoffnung, als Veranstalter der Olympischen Spiele werde Russland der Welt ein neues Bild von sich vermitteln. Doch Prestige geht mit der Verantwortung einher, Fairplay-Spiele in einem politischen und menschenrechtlichen Umfeld abzuhalten, das ebenfalls fair ist.

Mit dieser Meinung stehen wir nicht alleine da. Von Anfang an hatte die russische Regierung die Macht und die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass Bauarbeiter anständig bezahlt und gerecht behandelt werden, dass in Sotschi nicht Häuser abgerissen werden, solange die Bewohner nicht angemessen entschädigt werden, dass der Umwelt nicht geschadet wird und dass Aktivisten und Reporter nicht schikaniert werden, nur weil sie friedlich Kritik äußern. Russlands Behörden haben sich nicht daran gehalten. Das führte zu einer Flut negativer Berichterstattung der globalen Medien, zu Protesten der Betroffenen und der Zivilgesellschaft und zu internationalem Druck auf diplomatischer Ebene.

Wechselbeziehung zwischen Politik und Sport inzwischen normal?

So groß war der Druck offenbar, dass sich Russlands Führung zum Handeln genötigt sah. Vor Weihnachten wurden prominente Häftlinge wie Michail Chodorkowski und Mitglieder der Band „Pussy Riot“ entlassen. Viele Beobachter werteten den begrüßenswerten Schritt als (zynische) Reaktion Putins darauf, dass negative Schlagzeilen Sotschi überschatten könnten.

In eine ähnliche Richtung ging die überraschende Ankündigung, dass Russland den beim Bau der Sportstätten in Sotschi eingesetzten Arbeitern 8,3 Mio. US-Dollar an ausstehenden Löhnen zahlt. Das scheint eine direkte, wenn auch unvollständige und nicht ausreichende Reaktion auf die internationale Kritik zu sein, dass die Bauarbeiter eklatant ausgebeutet wurden. Noch ist es nicht zu spät, noch kann Russland auch bei anderen politischen Maßnahmen, die die Spiele in Sotschi belasten, Fortschritte erzielen. Beispielsweise, indem die Regierung das homosexuellenfeindliche „Propagandagesetz“ wieder kassiert.

Ist die verstärkte Wechselbeziehung zwischen Politik und Sport inzwischen normal? Wenn ja, wie kann dann gewährleistet werden, dass die Vorbereitungen für Olympische Spiele so fair ablaufen wie die Wettkämpfe selbst und dass die positive Intention derartiger Veranstaltungen nicht verloren geht?

Ausrichter und IOK stehen vor neuen Aufgaben. Russlands Erfahrungen zeigen künftigen Ausrichtern, dass es bei allen Themen rund um die Spiele immer schwieriger wird, dem Blick der Weltöffentlichkeit zu entgehen. Vom Bewerbungsprozess ab muss den Ausrichtern klar sein, dass sie nicht nur die technischen Anforderungen des IOK zu erfüllen haben, sondern in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele auch die Menschenrechte wahren und eventuelle Missstände beseitigen müssen.

Das Vorgehen des IOK hat nicht funktioniert

Human Rights Watch und andere haben während der Vorbereitungen auf Sotschi auf massive Menschenrechtsverletzungen in Russland hingewiesen. Dennoch hat das IOK nicht hinreichend auf die Behörden eingewirkt, dass diese Probleme wie etwa der Missbrauch von Wanderarbeitern wirksam angegangen werden. Was das Propagandagesetz anbelangt, begnügt sich das IOK vertrauensselig mit „Zusagen“ Russlands, dass während der Spiele nicht diskriminiert wird. Das IOK weigert sich einzugestehen, dass das Gesetz diskriminierend ist, im Widerspruch zur Olympischen Charta steht und stark zu einer feindseligen Stimmung gegenüber Homosexuellen beiträgt.

Die Vorgehensweise des IOK hat nicht funktioniert, das zeigt der Schatten, den die Missbrauchsfälle auf die Spiele werfen. Für die Zukunft wäre es besser, Menschenrechtsstandards in die Abläufe des IOK zu integrieren und einen ständigen Ausschuss zu gründen, der sich mit diesen Themen befasst – sei es mit der Situation von Wanderarbeitern, Zwangsräumungen, Pressefreiheit oder Meinungsfreiheit für Demonstranten und Kritiker. Diese Themen sollten in die Bewerbungsabläufe und die Vorbereitung auf künftige Olympische Spiele einfließen. Vielleicht könnten wir uns dann endlich wieder auf den Sport konzentrieren.

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