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Vor kurzem besuchte ich den Vatikan, um dort mit Kirchenvertretern über Papst Franzikus’ Ansichten zum Thema Homosexualität zu sprechen. In einem berühmt gewordenen Interview im Juli hatte Franziskus auf die Frage, wie er mit homosexuellen Priestern umgehen werde, geantwortet: „Wer bin ich, über sie zu urteilen?“ Daraufhin schrieben wir dem Papst einen Brief, in dem wir die Hoffnung äußerten, dass er auch hochrangige Kirchenvertreter in aller Welt zu dieser Haltung ermutigen werde. Denn viele Kleriker hatten sich bis dahin eher abwertend geäußert. Ich fuhr also nach Rom, um nachzuhaken.

Gerade erst war bekannt geworden, dass der Papst eine Umfrage unter seinen Bischöfen veranlasst hatte, um festzustellen, wie die Kirche vor Ort mit „Regenbogenfamilien“, „Homo-Ehen“, dem Gebrauch von Kondomen oder mit Scheidungen umgeht. Von außen betrachtet scheint frischer Wind durch den Vatikan zu wehen.

Doch mein Besuch fing nicht gerade vielversprechend an. Ich traf Erzbischof Gerhard Müller, als Präfekten der Glaubenskongregation der Spitzenbeamte im Vatikan in Fragen der Doktrin. Nach dem Gespräch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die vom Papst veranlasste Befragung „an der Kurie vorbei“ erfolgt war.

Als ich erwähnte, dass Franziskus sich während seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires zwar unterstützend über die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften geäußert hatte, das Gesetz zu gleichgeschlechtlichen Ehen in Argentinien nun jedoch ablehnt, reagierte Müller heftig. Er sagte, es liege nicht im Ermessen des Papstes, eine neue Doktrin zur Homosexualität zu entwerfen, und wechselte das Thema.

Mit unserem Schreiben an den Papst vom 16. Oktober hofften wir, ihn davon zu überzeugen, Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender zu verurteilen und die Abschaffung ungerechter strafrechtlicher Sanktionen gegen sie zu unterstützen. Wir baten ihn zudem, den Ton der Kirche in öffentlichen Debatten über Sexualität zu mäßigen und einen besseren gesetzlichen Schutz sexueller Minderheiten zu fordern.

Wir beschrieben, wie Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender in der ganzen Welt viel zu häufig Opfer von Aggression und Gewalt durch Behörden und gewöhnliche Bürger werden. Der Heilige Stuhl erklärt zwar offiziell, er habe gegen Gewalt, Diskriminierung und gesetzliche Strafen Position bezogen. Leider zeigen unsere Recherchen jedoch, dass viele Gemeinden und Amtsträger die erklärte Haltung der Kirche gegenüber Homosexuellen ignorieren oder ihr absichtlich zuwiderhandeln.

So schloss sich die katholische Kirche in Uganda einem Bündnis an, welches das Parlament aufforderte, die Verabschiedung eines homosexuellenfeindlichen Gesetzentwurfs zu beschleunigen. Dieser würde nicht nur die bestehende Strafe für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Sexualakte bei Erwachsenen auf lebenslängliche Haft oder gar die Todesstrafe erhöhen, sondern auch alle Ugander unter Strafandrohung verpflichten, den Behörden homosexuelle Mitbürger zu melden.

Obwohl ich von dem Treffen im Vatikan etwas entmutigt war, dachte ich daran, was ein Journalist mir gesagt hatte: „Ich bin kein Katholik, aber Papst Franziskus kümmert sich um Themen, dir mir zutiefst wichtig sind. Seine rhetorische Frage ‚Wer bin ich, zu urteilen?‛ berührte mich.“ Er erzählte mir, dass er in Rom jeden Tag an einer jungen schwangeren Frau vorbeifahre, die Autofahrer um Geld bitte. „Die anderen scheuchen sie fort, schieben die Fenster hoch und schauen weg.“

Inspiriert von den Worten des Papstes habe er jedoch das Fenster geöffnet und sie gefragt, wie es ihr gehe. „Sie war überrascht, dass ich mit ihr sprach, und lächelte. Seit unserem ersten kurzen Gespräch spreche ich jeden Tag mit ihr und sie hält mich über ihre Schwangerschaft auf dem Laufenden. Anstatt über sie zu urteilen, freue ich mich, sie kennengelernt zu haben.“

Am nächsten Tag war ich zur Generalaudienz von Papst Franziskus auf dem Platz vor dem Petersdom eingeladen. Vor seiner Ansprache fuhr Franziskus im offenen Wagen durch die Menge und winkte den Menschen zu. Es muss pures Glück gewesen sein, doch sein Fahrer hielt direkt vor mir an. Der Papst beugte sich zu einem Baby, das ein Mann neben mir auf dem Arm hatte. Während das Kind gesegnet wurde, kramte ich eilig unseren Brief aus meiner Tasche hervor und gab ihn dem Assistenten des Papstes. „Ein Brief für il Papa“, sagte ich. Er nahm das Schreiben und lächelte. „Er wird ihn lesen“, fügte er hinzu und ging weiter. Ich war überglücklich. Kein Kurierdienst hätte das besser hinbekommen.

Nach der Audienz ging ich durch die belebten Straßen Roms und dachte, wie schön es wäre, wenn der Papst unseren Brief damit beantworten würde, dass er Homosexuelle öffentlich unterstützte. Der Gedanke beflügelte meine Fantasie.

Wie schön wäre es, wenn Menschen in der ganzen Welt von den positiven Worten des Papstes inspiriert würden. Wenn sie ihre Fenster aufmachen, mit ihren homosexuellen Kollegen oder ihrem Transgender-Nachbarn sprechen und sie mit Würde und Menschlichkeit behandeln würden.

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