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(Berlin, 2. September 2013) – Die Regierung Aserbaidschansschränkt systematisch jede Art von regierungskritischem Verhalten ein. Diese Strategie zielt darauf ab, oppositionelle politische Aktivitäten ebenso wie öffentliche Kritik einzugrenzen. Zudem sollen Nichtregierungsorganisationen stärker kontrolliert werden. Das rigorose Vorgehen gegen die freie Meinungsäußerung sowie gegen die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit hat sich in den letzten Monaten vor der Präsidentschaftswahl am 9. Oktober 2013 verschärft.

Der 100-seitige Bericht „Tightening the Screws: Azerbaijan’s Crackdown on Civil Society and Dissent”dokumentiert die Bilanz der Regierung im Bereich Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit während der letzten 18 Monate. Die Behörden nutzten fingierte Vorwürfe, um Dutzende politische Aktivisten festzunehmen; regierungskritische Journalisten wurden in Haft genommen und friedliche Demonstrationen aufgelöst. Zudem wurden Gesetze verabschiedet, welche die Grundfreiheiten weiter einschränken. Human Rights Watch dokumentierte die Festnahme und Inhaftierung von mehreren hochrangigen Oppositionspolitikern ebenso wie von Regierungskritikern, denen viele Menschen in den Sozialen Medien folgten. Auch wurden Festnahmen von Personen dokumentiert, die häufig an politischen Protesten teilgenommen hatten.

„Eine lebhafte, öffentliche Debatte in den Medien und das Recht, an friedlichen Demonstrationen teilzunehmen, sind wesentliche Bestandteile einer freien und gerechten Wahl”, sagte Giorgi Gogia, Süd-Kaukasus-Experte von Human Rights Watch und Autor des Berichts. „Eine freie und gerechte Wahl ist kaum möglich, wenn so viele Menschen, die die Behörden kritisieren und von der aktuellen Lage im Land berichten, im Gefängnis landen oder auf andere Art mundtot gemacht werden.”

Die Regierung soll all jene Menschen freilassen, die sich aufgrund von politisch motivierten Vorwürfen, die jeder Grundlage entbehren, in Haft befinden. Hierzu gehören politische Aktivisten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und andere zivilgesellschaftliche Akteure. Die Regierung soll nicht länger fadenscheinige Anschuldigungen gegen ihre Kritiker erheben, so Human Rights Watch.

Zwischen Februar 2012 und August 2013 führte Human Rights Watch mehr als 100Interviews und dokumentierte 39 Fälle von Menschen, die festgenommen, angeklagt, verurteilt oder bedrängt wurden. Die Bilanz der Regierung Aserbaidschans bezüglich der Menschenrechte lässt bereits seit Jahren zu wünschen übrig. Die Zahl der Festnahmen, die Verabschiedung schärferer Gesetze und die weit reichenden Versuche der Regierung, friedliche Demonstrationen aufzulösen und zu unterbinden, sprechen jedoch für einen neuen, geplanten Vorstoß der Regierung, um politische und zivilgesellschaftliche Aktivisten weiter einzuschränken.

Dieses harsche Vorgehen zielt besonders auf junge, politisch aktive Menschen ab. So wurden beispielsweise im März und April 2013 sieben Mitglieder der Jugendbewegung NIDA (dt. „Ausrufezeichen”) verhaftet. Alle sieben waren aktive Facebook- und Twitter-Nutzer, die vielfach Meldungen über vermeintliche Fälle von Korruption innerhalb der Regierung und Menschenrechtsverletzungen veröffentlicht hatten. Die Behörden behaupteten, die Festgenommenen hätten den Plan gehegt, Teilnehmer an friedlichen Demonstrationen zur Gewalt anzustiften.

Unter den Festgenommenen und Inhaftierten sind zudem mindestens sechs Journalisten, zwei Menschenrechtsaktivisten, die Hilfe für Flutopfer ermöglichen wollten, sowie ein Rechtsanwalt, der sich für die Entschädigungen von Menschen einsetzte, deren Wohnungen und Häuser zwangsgeräumt worden waren.

Die Behörden bedienten sich einer Reihe erfundener Vorwürfe, darunter Waffenbesitz oder Besitz von Betäubungsmitteln, Rowdytum, Aufhetzung und Landesverrat, um sich der Kritiker zu entledigen.

„Menschen zu verfolgen, weil sie die Regierung kritisieren und über Themen berichten, die von öffentlichem Interesse sind - dies ist ein zynischer und durchschaubarer Versuch, Kritik an der Regierung im Keim zu ersticken”, so Gogia. „Die Behörden sollen sich nicht länger fingierter Anschuldigungen bedienen und jene Menschen, die deshalb in Haft genommen wurden, freilassen.”


Human Rights Watch dokumentierte verschiedene Unregelmäßigkeiten und Verstöße gegen faire Gerichtsverfahren. Diese untergruben die Glaubwürdigkeit sowohl der Ermittlungen als auch der Verfahren gegen die Opfer. In 17 dieser Fälle haben die Behörden in Fällen von glaubhaften Vorwürfen nicht ermittelt. Hierzu gehören Körperverletzung, Bedrohung und andere Missbrauchsfälle, die sich im Polizeigewahrsam ereignet haben sollen. In vielen Fällen wurde es Beschuldigten, insbesondere während der ersten Tage in Haft, untersagt, mit einem Verteidiger ihrer Wahl zu sprechen. Gerichte ordneten Untersuchungshaft an, auch wenn hierfür keine rechtfertigenden Umstände vorlagen.

In sechs Fällen wurden Regierungskritiker wegen des Vorwurfes des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln festgenommen. Die entsprechenden Verteidiger konnten ihre Mandanten während der ersten Tage nach deren Verhaftung nicht sprechen. Bei den jeweiligen Verhören wurden einigen der Männer hauptsächlich Fragen zu ihren politischen Aktivitäten und nicht etwa zu den Vorwürfen des Besitzes von Betäubungsmitteln gestellt.

Die feindselige Haltung der Regierung Aserbaidschans gegenüber unabhängigen und oppositionellen Medien ist bekannt und belegt.Seit Januar wurden mindestens sechs Journalisten aufgrund von fadenscheinigen Anschuldigungen zu Haftstrafen verurteilt. In allen Fällen handelte es sich anscheinend um Vergeltungsmaßnahmen für kritischen und investigativen Journalismus. Der Bericht dokumentiert ebenfalls vier Fälle aus dem Jahr 2013, bei denen offenkundig Drohungen ausgesprochen, Schmierkampagnen gestartet und gewaltsame Angriffe verübt wurden, um kritische Journalisten und einen kritischen Autor mundtot zu machen.

„Offensichtlich versucht die Regierung, sich selbst zu schützen und den Dialog über Themen, die von öffentlichem Belang sind, zu vermeiden, indem Journalisten eingesperrt oder eingeschüchtert werden” , so Gogia. „Stattdessen jedoch schadet die Regierung dadurch sowohl der eigenen Gesellschaft als auch dem internationalen Ansehen des Landes.”

Der Bericht schildert ebenfalls Gesetzesänderungen, welche die Geldstrafe für die Beteiligung an nicht genehmigten Demonstrationen um bis zu ein Hundertfaches erhöhten. Zudem wurde die drohende Freiheitsstrafe bei geringen Vergehen gegen die öffentliche Ordnung von 15 auf 60 Tage erhöht. Diese Änderungen dienen in vielen Fällen der Festnahmen von Demonstranten und machen es für nicht eingetragene Nichtregierungsorgansationen unmöglich, auf legale Weise finanzielle Unterstützung zu erhalten.

Laut internationalem Recht hat die Regierung Aserbaidschans klar definierte rechtliche Pflichten, um die freie Meinungsäußerung sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu schützen. Das internationale Recht erkennt diese Freiheiten als grundlegende Menschenrechte an, die sowohl für eine funktionierende demokratische Gesellschaft als auch für die Menschenwürde unabdingbar sind.


Die Regierung soll der Straffreiheit in Fällen von Gewalt gegen Journalisten ein Ende setzen. Zudem sollen rechtswidrige Verleumdungsgesetze abgeschafft werden, ebenso wie jene Gesetze, die härtere Strafen für Teilnehmer und Organisatoren von nicht genehmigten, friedlichen Protesten vorsehen. Auch soll die Regierung friedliche Versammlungen erlauben, so Human Rights Watch. Weiterhin soll sich die Regierung nicht mehr auf unangemessene Weise in die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen einmischen.


Die internationalen Partner haben Aserbaidschan immer wieder kritisiert, wenn das Land seine Verpflichtungen nicht eingehalten und Menschenrechte verletzt hat. Dennoch hatte dies noch keine Auswirkungen auf die konkreten Beziehungen zu dem Land. Dies mag daran liegen, dass Aserbaidschan ein geostrategisch wichtiges Land ist und über Kohlenwasserstoffressourcen verfügt, so Human Rights Watch.

„Hier besteht offensichtlich ein klares Missverhältnis“, so Gogia. „Auf der einen Seite bemüht sich die Regierung in Baku, eine größere und wichtigere Rolle auf dem internationalen Parkett zu spielen. Auf der anderen Seite jedoch werden internationale Standards innerhalb des Landes missachtet.“

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