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Kasachstan/Deutschland: Menschenrechte sollen Grundlage für gute Beziehungen sein

Merkel soll von Nasarbajew Untersuchung von Todesfällen und Foltervorwürfen einfordern

(Berlin, 6. Februar 2012) – Bundeskanzlerin Angela Merkel soll dringende Menschenrechtsprobleme ansprechen, wenn sie am 8. Februar den kasachischen Präsident Nursultan Nasarbajew trifft, so Human Rights Watch heute. Nasarbajew wird mit der Kanzlerin in Berlin über die bilaterale Zusammenarbeit und über Energiefragen sprechen. Zudem soll ein Abkommen über eine strategische Energie- und Rohstoffpartnerschaft unterzeichnet werden.

Kasachstan ist die führende Wirtschaftsmacht Zentralasiens, der wichtigste Energie- und Handelspartner Deutschlands in dieser Region und ein zunehmend einflussreicher Akteur auf der internationalen Bühne. Ungeachtet dessen hat sich die Lage der Menschenrechte im Land in den letzten Monaten erheblich verschlechtert, und dies untergräbt den Status Kasachstans, ein stabiler Wirtschaftspartner zu sein. Deutschlands Bestrebungen, engere Beziehungen zu Kasachstan zu knüpfen, dürfen nicht auf Kosten der Menschenrechte gehen, so Human Rights Watch.

„Ein Land, das grundlegende Menschenrechte verletzt, bietet kein gutes Umfeld für Investitionen“, sagt Hugh Williamson, Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. „Angela Merkel muss gegenüber Nursultan Nasarbajew darauf bestehen, dass Kasachstan sich ernsthaft verpflichtet, die Menschenrechte im eignen Land zu achten.“

Wesentliche menschenrechtliche Bedenken betreffen tödliche Polizeigewalt gegen Zivilisten in der Öl-Stadt Schangaösen im Westen Kasachstans. Zusammenstöße am 16. Dezember 2011 führten zu 14 Todesfällen. Diese Vorfälle müssen untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Darüber hinaus sollen die kasachischen Behörden die Vorwürfe prüfen, wonach bei den Protesten verhaftete Personen von Polizisten getreten, mit Schlagstöcken verprügelt, nackt ausgezogen, niedergetrampelt sowie Minusgraden ausgesetzt wurden.

Weiterhin sollen die Behörden vage und unklare Anschuldigungen wegen „Anstiftung sozialen Unfriedens“ gegen oppositionelle Aktivisten fallen lassen, die nach den Zusammenstößen festgenommen wurden.

Diese Anliegen hat Human Rights Watch bereits am 1. Februar in einem Brief an den kasachischen Generalstaatsanwalt formuliert.

Das bilaterale Treffen eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, weitere wichtige menschenrechtliche Anliegen anzusprechen, etwa die Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit und die Verhaftung eines unabhängigen Journalisten.

Die gewaltsamen Zusammenstöße von Zivilisten und Polizisten am 16. Dezember in Schangaösen standen im Zusammenhang mit einem friedlichen Streik von Arbeitern in der Ölindustrie, der im Mai 2011 begann. Die Regierung kündigte unverzüglich an, umfassende und transparente Untersuchungen der gewaltsamen Vorfälle einzuleiten. Nasarbajew deutete sogar an, dass die gewaltsamen Zusammenstöße unabhängig von dem gewaltlosen Streik betrachtet würden. Am 25. Januar erklärte der Generalstaatsanwalt, dass es „in einigen Fällen“ zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei gekommen sei, die zum Tod und zur Verletzung von Personen geführt habe. Er deutete an, dass strafrechtliche Vorwürfe, auch der des Machtmissbrauchs, gegen vier Polizisten erhoben werden.

In einem am 26. Januar im Magazin Foreign Policy veröffentlichten Artikel betonte Kasachstans Außenminister Jerschan Kasychanow, dass seine Regierung in Bezug auf die Vorfälle des 16. Dezember und deren Untersuchung transparent agiere und „sich nicht hinter einem eisernen Vorhang versteckt“.

Allerdings ist besorgniserregend, dass Kasychanow nicht erwähnte, dass unmittelbar nach den Unruhen vom 16. bis zum 21. Dezember alle Telefonleitungen in Schangaösen und landesweit einige Websites, auch Twitter.com, gesperrt wurden.

Während dieser vier Tage haben kasachische Behörden Hunderte Personen festgenommen. Nach Angaben von Human Rights Watch und anderen haben Betroffene und Zeugen berichtet, dass Polizisten Inhaftierte willkürlich getreten und mit Schlagstöcken verprügelt haben. Polizeibeamte haben Häftlinge gezwungen, sich nackt auszuziehen, haben sie niedergetrampelt und Minusgraden ausgesetzt. Darüber hinaus hat Human Rights Watch den Tod des 50-jährigen Bazarbai Kenzhebaew dokumentiert, der am 16. Dezember auf offener Straße verhaftet wurde. Er starb an Verletzungen, die ihm augenscheinlich in Haft zugefügt worden waren.

Weiterhin wurden gegenüber Human Rights Watch Vorwürfe übermäßiger, tödlicher Gewaltanwendung durch Polizisten gegen Zivilisten geäußert. Polizisten wird auch Diebstahl und Erpressung vorgeworfen. Ebenso sind Verhaftung von Arbeitern und Oppositionellen im Zusammenhang mit den Zusammenstößen belegt.

Die Unparteilichkeit der Ermittlungsbehörden ist fraglich, da diese bekannte Öl-Arbeiter und oppositionelle Aktivisten beschuldigen, die Gewalt organisiert oder dazu angestiftet zu haben.

Mindestens drei Öl-Arbeiter, die sich alle im vergangenen Jahr öffentlich für die Forderungen der streikenden Arbeiter ausgesprochen haben, wurden wegen „Organisation von Massenunruhen“ angeklagt. Im Januar wurden drei oppositionelle Aktivisten verhaftet, weil sie „zu sozialem Unfrieden angestiftet“ haben sollen, einem Straftatbestand, der so vage und unklar formuliert ist, dass er grundlegenden Menschenrechtsstandards widerspricht. Die Behörden beschuldigen Wladimir Kozlow, Führer der inoffiziellen Oppositionspartei Alga, den Streik der Arbeiter instrumentalisiert zu haben, „um zu sozialem Unfrieden anzustiften und die Situation in der Region zu destabilisieren“.

In einem ersten Gerichtsdokument stellen die Behörden fest, dass Kozlow „die illegalen Handlungen von Teilnehmern des unerlaubten [Streiks] aktiv unterstützt“ habe und dass er und andere, auch sein Kollege Aizhangul Amirowa, Flugblätter verbreitet hätten, die angeblich „zu sozialem Unfrieden anstiften“. Die Behörden behaupten weiter, dass diese mutmaßlich illegalen Handlungen „zu den ernsthaften Folgen… der Massenunruhen am 16. Dezember 2011 führten“.

Gegen mindestens zwei andere Oppositionelle, die den Westen Kasachstans während des Streiks besuchten, wird wegen der gleichen Verdachtsmomente ermittelt.

Am 23. Januar wurde Igor Winyawskii, Chefredakteur der Zeitung Vzlgyad, aus politischen Gründen verhaftet, da er angeblich „durch die Massenmedien zum gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung aufgerufen hat“. Er weist diese Anschuldigungen zurück. Es ist unklar, ob seine Festnahme im Zusammenhang mit der Gewalt im Westen Kasachstans steht.

„Merkel muss den kasachischen Präsidenten auffordern, jedem der 14 Toten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Nasarbajew soll nicht das Strafrecht missbrauchen, um Regierungskritiker zu verhaften“, so Williamson. „Zuallererst soll die Regierung die verhafteten Oppositionellen freilassen.“

Darüber hinaus nutzt die Regierung restriktive Versammlungsgesetze, um die Organisatoren friedlicher Proteste mit Bußgeldern und kurzen Haftstrafen zu belegen. Nach einer zweistündigen, gewaltlosen Demonstration von etwa 500 Personen am 28. Januar, zu der die oppositionelle sozialdemokratische Azat-Partei aufgerufen hatte, wurden drei Parteiführer, Bolat Abilow, Amirbek Togusow und Amirzhan Kosanow, wegen Verletzung des Gesetzes über öffentliche Zusammenkünfte zu 15 Tagen Freiheitsentzug verurteilt. Zharmakhan Tuyakbai, ein anderer Parteiführer, musste ein Bußgeld zahlen. Abilow wurde wegen angeblicher Respektlosigkeit gegenüber dem Richter zu drei zusätzlichen Hafttagen verurteilt.

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