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Deutschland: Wegweisender Prozess zu Kriegsverbrechen im Kongo

Zeugen sollen geschützt und Opfer über den Fortgang des Verfahrens informiert werden

(Brüssel, 2. Mai 2011) - Mit dem Prozess gegen zwei in Deutschland verhaftete ruandische Rebellenführer, denen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Demokratischen Republik Kongo vorgeworfen werden, geraten mutmaßliche Kriegsverbrecher zunehmend unter Druck, so Human Rights Watch heute.

Am 4. Mai 2011 werden die Stuttgarter Richter das Verfahren gegen Ignace Murwanashyaka, den Präsidenten der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda, FDLR), und seinen Stellvertreter Straton Musoni eröffnen. Bei der FDLR handelt es sich um eine bewaffnete Gruppe, die sich hauptsächlich aus ruandischen Hutu formiert und seit 1994 unter verschiedenen Namen im Ostkongo operiert.

„Der Prozess gegen Murwanashyaka und Musoni demonstriert eindrucksvoll, dass Gerichte, auch wenn sie Tausende Kilometer vom Ort des Verbrechens entfernt sind, eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Straflosigkeit spielen", so Géraldine Mattioli-Zeltner, Advocacy-Direktorin der Abteilung Internationale Justiz von Human Rights Watch. „Mit der Strafverfolgung dieser abscheulichen Verbrechen sind die deutschen Behörden ihren rechtlichen Verpflichtungen nachgekommen und haben damit einen wichtigen Schritt gemacht."

Die beiden Männer lebten seit mehreren Jahren in Deutschland, wo sie am 17. November 2009 festgenommen und auf der Grundlage des deutschen Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) angeklagt wurden. Ihnen werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 26 und Kriegsverbrechen in 39 Fällen zur Last gelegt, begangen von FDLR-Truppen zwischen Januar 2008 und November 2009 auf kongolesischem Gebiet. Eine weitere Anklage lautet auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Über mehrere Jahre haben FDLR-Truppen die Zivilbevölkerung im Ostkongo brutal angegriffen. Die Lage spitzte sich 2009 zu, als das kongolesische Militär - mit Unterstützung der ruandischen Armee, später der UN-Blauhelme - gegen die FDLR vorging. Human Rights Watch hat zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen die FDLR gezielt Zivilisten getötet hat. Unter den Opfern waren auch Frauen, Kinder und alte Menschen, viele wurden mit Macheten und Äxten zu Tode gehackt. Die FDLR-Kämpfer plünderten Dörfer und brannten Häuser nieder, in denen die Menschen zum Teil eingeschlossen waren. Bei diesen Angriffen kam es auch regelmäßig zu Vergewaltigungen, bei denen es sich in den meisten Fällen um Gruppenvergewaltigungen handelte. Sexuelle Gewalt wurde dabei bewusst als Kriegswaffe eingesetzt.

Murwanashyaka und Musoni hielten sich zum Zeitpunkt dieser Verbrechen nicht in der Demokratischen Republik Kongo auf, sollen aber engen Kontakt zu den FDLR-Truppen im Ostkongo gehabt und die Operationen angeordnet haben. Sollte sich nachweisen lassen, dass sie diese Verbrechen befohlen haben oder darüber informiert waren und nichts dagegen unternahmen, tragen sie als Anführer der Rebellenbewegung die Verantwortung für die Straftaten ihrer Truppen. Sie sollen die FDLR-Truppen auch angewiesen haben, die Bevölkerung anzugreifen, um eine „humanitäre Katastrophe" zu provozieren. Mit dieser Strategie sollte die internationale Gemeinschaft offensichtlich dazu gezwungen werden, ihre Militäroffensive gegen die FDLR einzustellen.

Maßgebliche Unterstützung erhielt die FDLR aus der Diaspora und über Gefolgsmänner in Europa, Nordamerika und Afrika. Von dort wurden Überweisungen getätigt, Waffenlieferungen koordiniert und Kämpfer angeworben. Der Konflikt in den ostkongolesischen Provinzen Nord- und Südkivu ist noch immer nicht beendet. Die FDLR sowie andere bewaffnete Gruppen verüben weiterhin schwerste Menschenrechtsverletzungen gegen die Zivilbevölkerung. Der UN und humanitären Organisationen zufolge sind in Fizi in der Provinz Südkivu bei einem der schwersten Vorfälle in der letzten Zeit mindestens 53 Frauen und Mädchen von FDLR-Kämpfern vergewaltigt worden.

„Murwanashyaka und Musoni können für die Gräueltaten ihrer Truppen im Kongo strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden", so Mattioli-Zeltner. „Dieser Prozess sollte für FDLR-Kommandanten, die weiterhin Verbrechen im Ostkongo anordnen, ein deutliches Signal sein. Zu ihnen gehört der militärische Befehlshaber, General Sylvestre Mudacumura, aber auch einige andere, die glauben, sie könnten solche Menschenrechtsverletzungen bequem von Europa oder Nordamerika aus unterstützen oder anordnen."

Der Prozess gegen Murwanashyaka und Musoni ist das erste Verfahren auf der Grundlage des im Juni 2002 in Kraft getretenen deutschen Völkerstrafgesetzbuches (VStGH). Dieses integriert Straftatbestände des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), also Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord, in das deutsche Strafrecht. Das Völkerstrafgesetzbuch bildet die Grundlage für die Strafverfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrecher nach dem Weltrechtsprinzip, wonach eine Strafverfolgung auch dann möglich ist, wenn die Täter keinen spezifischen Bezug zu dem betreffenden Staat haben. Murwanashyaka und Musoni könnten jedoch auch wegen Verbrechen angeklagt werden, die sie von Deutschland aus begangen haben, wo sie wohnen.

Im Oktober 2010 wurde Callixte Mbarushimana, der nach der Verhaftung von Murwanashyaka und Musoni das Kommando der FDLR übernommen hatte, aufgrund eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs in Paris festgenommen. Auch Mbarushimana werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt. Er ist im Januar nach Den Haag überstellt worden. Die erste Anhörung vor dem Strafgerichtshof findet am 4. Juli statt. Dann soll über die Beweislage und damit über einen möglichen Prozess gegen ihn entschieden werden.

Im April 2009 wurde im Bundeskriminalamt eine Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch geschaffen. Es unterstützt Polizei und Staatsanwaltschaft bei der Ermittlung schwerster internationaler Verbrechen.

Aufgrund des anhaltenden Konflikts im Ostkongo stellen die Sicherheit und der Schutz von Zeugen, Opfern und Justizbediensteten eine schwierige Aufgabe dar. Das Oberlandesgericht Stuttgart trägt nicht nur die Verantwortung für den Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der kongolesischen Opfer, die den Mut aufbringen, als Zeugen auszusagen. Es soll auch dafür sorgen, dass die betroffenen Gemeinden über den Fortgang des Verfahrens informiert werden.

„Der Prozess gegen Murwanashyaka und Musoni bietet den Opfern der von der FDLR begangenen Verbrechen nach so vielen Jahren des Leidens endlich die Chance, Gerechtigkeit zu erfahren", so Mattioli-Zeltner. „Jetzt sind innovative Wege gefragt, um den betroffenen Gemeinden im Kongo die wichtigsten Informationen über den Prozess zukommen zu lassen."

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