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(Brüssel, 28. Juni 2006) - Staatsanwälte greifen in Europa auf das Weltrechtsprinzip zurück, um ausländische Kriegsverbrecher vor nationalen Gerichten zu belangen. Aus einem heute von Human Rights Watch veröffentlichten Bericht geht hervor, dass diese Strategie auf dem ganzen Kontinent an Bedeutung gewinnt und noch weiter ausgebaut werden sollte. Der zugrunde liegende Gedanke ist, dass manche Verbrechen so grausam sind, dass sie vor Gericht gebracht werden sollten, unabhängig davon, wo sich Opfer und Täter zum Zeitpunkt der Tat aufhielten. In deutschen Behörden hat man jedoch bisher noch keine politische Bereitschaft gezeigt, solche Fälle zu verfolgen.

„Gegner haben das Weltrechtsprinzip für tot erklärt. Die Realität sieht jedoch so aus, dass es in Europa sehr wohl am Leben ist und es ihm auch noch recht gut geht", meint Richard Dicker, Direktor des Programms für Internationale Gerechtigkeit von Human Rights Watch. „Dieses Prinzip ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, den Opfern der schlimmsten auf dieser Welt begangenen Gräueltaten Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen."  
 
Im heute veröffentlichten 101-seitigen Bericht „Universal Jurisdiction in Europe: The State of the Art" gibt sich Human Rights Watch nicht mit den schrillen Debatten über das Konzept zufrieden, sondern untersucht, wie dieses Prinzip in der Praxis angewandt wird. Die Grundlage dieses Berichts bilden Gespräche mit Richtern, Ermittlern, Anwälten und Inhabern öffentlicher Ämter aus acht europäischen Ländern. Es wird erläutert, wie einige Regierungen (etwa in Großbritannien, Dänemark, Norwegen und den Niederlanden) spezielle Einheiten für Kriegsverbrechen geschaffen haben, damit weltweit Nachforschungen angestellt werden können.  
 
Unter dem Weltrechtsprinzip versteht man die Berechtigung nationaler Gerichte, über Anklagen wegen Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter zu entscheiden. Dies gilt selbst dann, wenn weder der Angeklagte noch das Opfer die Staatsbürgerschaft des Landes haben, in dem sich das Gericht befindet, und wenn das Vergehen außerhalb dieses Landes begangen wurde. Der bekannteste Fall, in dem dieses Prinzip Anwendung fand, war der des früheren chilenischen Diktators Augusto Pinochet. Er wurde 1998 auf Ersuchen eines spanischen Gerichts in London aufgrund einer Anklage wegen Folter festgenommen.  
 
Gegner des Weltrechtsprinzips, zu denen auch die US-amerikanische Regierung unter Bush zählt, führen an, dass es sich bei diesem Prinzip um eine gefährliche politische Waffe handle, die gegen amerikanische Beamte und Soldaten eingesetzt werden wird. Aus dem Bericht geht jedoch hervor, dass das Weltrechtsprinzip vor allem ein wirkungsvolles Mittel ist, um Opfern Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, die keine andere Alternative haben.  
 
In Europa wurden in den letzten Jahren verschiedene Fälle erfolgreich strafrechtlich verfolgt: zwei afghanische Militäroffiziere, die in den Niederlanden für in Afghanistan ausgeübte Kriegsverbrechen verurteilt wurden; ein argentinischer Offizier, der von einem spanischen Gericht für in Argentinien verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde; ruandische Geschäftsleute, die von einem Gericht in Brüssel für die Beteiligung am ruandischen Völkermord verurteilt wurden.  
 
Für den Bericht wurden Untersuchungen in folgenden Länder durchgeführt: Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Norwegen, Spanien und Großbritannien. Dabei wurde ermittelt, welche nationale Behörden den Herausforderungen der strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechern, die in anderen Ländern Verbrechen begangen haben, gewachsen sind, und welche Länder weitere Schritte unternehmen müssen, um zu verhindern, dass sie von Kriegsverbrechern als Zufluchtsort genutzt werden.  
 
Laut Human Rights Watch sind in Deutschland zwar umfassende Gesetze vorhanden, die die strafrechtliche Verfolgung angeklagter Kriegsverbrecher ermöglichen. Dennoch haben deutsche Behörden bisher noch keine überzeugende Bereitschaft gezeigt, gegen Verdächtige zu ermitteln. Der Generalbundesanwalt hat die Gesetze eng ausgelegt und ist bisher nicht gewillt, Verdächtige auf deutschem Boden vor Gericht zu bringen. So wurde die Anzeige gegen den früheren usbekischen Innenminister zurückgewiesen, der der Folter und des Massenmords beschuldigt wird. Er konnte aus Deutschland fliehen, nachdem Opfer beim Generalbundesanwalt Anzeige gegen ihn erstattet hatten.  
 
„Deutschland hat gute Gesetze, ist jedoch eigenartigerweise nicht gewillt, Person, die wegen Kriegsverbrechen angeklagt sind, auf deutschem Boden vor Gericht zu stellen", erklärt Dicker. „Menschen, die beschuldigt werden, Kriegsverbrechen begangen zu haben, sollten feststellen, dass der Arm der Gerechtigkeit länger geworden ist. Sie sollten Deutschland nicht als Zufluchtsort betrachten."  

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